Leseproben


Sternenspringer

(Real-Fantasie/SF)

Die Chaosnadel

(Thriller)

Outgirl

(Real-Fantasie/SF)

Cheriell

(Real-Fantasie)

Myrie

(Roman)
Unter dem Seelicht
Das Schlagen der Wellen gegen die Mole unter ihm hatte zugenommen, die Gischt spritzte hoch hinauf. Zwei Möwen zankten sich um einen toten Fisch. Er betrachtete sie eine Weile, bis eine siegte und die andere laut schimpfend davonflog. Der Wind nahm zu und trieb Nebelschleier über das Wasser.
Georg wunderte sich, dass das Wetter so schnell umschlug. Es wurde merklich kühler, der Himmel zog sich weiter zu. Fröstelnd und etwas umständlich stemmte er sich am Geländer hoch. Hinter ihm begann die Seeleuchte ihre Kreise zu ziehen. Die Automatik war angesprungen.
„Aaaah!“, kam es in diesem Moment von unten. Gleichzeitiges Scheppern und Klirren. Georg zuckte zusammen. Er hetzte durch den Lampenraum die Leiter hinunter in den Wohnbereich. Fast glitt er auf einer der Sprossen aus, konnte sich aber eben noch fangen.
„Was ist passiert?“
Sven hielt sich mit beiden Händen an der Anrichte der Küchenzeile fest. Er war kalkweiß.
Zu seinen Füßen lag das zerbrochene Weinglas. Mit aufgerissenen Augen starrte er zur gegenüberliegenden Wand.
Unheil ahnend folgte Georg seinem Blick. Im Zwielicht des inzwischen schummerig gewordenen Raumes erkannte er hinter dem Aufgang zum Leuchtraum einen uralten Holzschrank, dessen Türen nur angelehnt waren. Mit Übelkeit in der Kehle schob er sich an Svens Seite.
„Ist das etwa Blut, was da herausläuft?“
Sven stieß einen Schwall Atemluft aus, als hätte er sie die ganze Zeit über angehalten.
„Die Türen sind plötzlich von ganz alleine aufgegangen“, flüsterte er.
Er langte mit der linken Hand in eine Schublade des Küchenschranks, packte ein großes Brotmesser, schnappte sich ein Geschirrtuch und ging Schritt für Schritt auf das Schrankungetüm zu, vor dem eine rötliche Lache schwamm.


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Tornado im Herbst
Der Sturm riss klappernd an den Fensterläden der geräumigen Blockhütte. Die Wände knirschten ein wenig, doch der Bau war stabil, so dass er eine gewisse Geborgenheit vermittelte. Feline spähte aus dem Fenster auf die sich dunkel auftürmenden Wolken. Grau knäuelten sie sich jenseits der Hügel, fast wie ein entfachtes Feuer mit seinen Rauchwolken.
Sie spürte untergründige Angst. Schnell wischte sie die letzten Krümel von der Anrichte, ließ dabei jedoch nicht das aufkommende Wetter aus den Augen.
Für zwei Oktoberwochen war die gesamte Familie in das eigene Ferienhaus in Schleswig-Holstein gefahren. Zu dieser Zeit hatten sie hier in vergangenen Jahren schon so manches Gewitter erlebt.
Quentin trat zu ihr, in einer Hand die Brille, mit der anderen fuhr er sich durch das schüttere Haar. „Das sieht nicht gut aus“, brummte er.
„Wir sollten die Hütte sichern. Ich hole einige Balken aus dem Schuppen.“
Seine Schwiegertochter sah ihn ungläubig an.
„Willst du die Fenster vernageln?“
„Ein Brett quer rüber kann nicht schaden“, erwiderte er und lief zur Haustür. „Hol` die Kinder lieber herein, und Samuel und Jan sollen sich schleunigst aus dem Keller bewegen, um zu helfen.“
Feline schüttelte wortlos den Kopf.
‚Der Alte wird immer merkwürdiger’, dachte sie, ‚so schlimm wird es schon nicht werden’. Doch als sie erneut durch die Scheiben blickte, krampfte sich ihr Magen zusammen.
Der Horizont war vollständig von dem Wolkenkoloss verdeckt und drüben, weit hinter den jetzt winzig wirkenden Bauernhäusern an der Hauptstraße, bildete sich soeben ein senkrechter Luftschlauch, der in wirbelnder Bewegung vor dem schwarzen Himmel tanzte. Die junge Frau warf das Wischtuch ins Waschbecken, rannte zur Eingangstür und brüllte in das Windgeräusch hinaus.
„Philipp, Mark, Sally, sofort ins Haus mit euch!“ Drei Kinderköpfe fuhren fragend in die Höhe. „Kommt herein!“, drängte Feline. „Sofort!“
Sechs Beine setzten sich in Bewegung. Der stärker gewordene Wind zerzauste die blonden Schöpfe. Feline schob sie in die Stube. „Geht runter in den Keller. Es gibt ein schlimmes Unwetter.“ Sie drückte jedem der Kinder eine Wolldecke in den Arm. „Husch, husch, beeilt euch.“ Dann rief Feline nach den Zwillingen.
Inzwischen hämmerte Quentin bereits die ersten Bretter gegen die vibrierenden Fensterrahmen. Ein Fensterladen nach dem nächsten schlug klappernd zu. Bei dem Gebäude handelte es sich um ein sechseckiges Blockhaus, das großzügig gebaut, auch über zwei behagliche Kellerräume verfügte.
Samuel und Jan stapften, murrend über die Störung, die ausgetretene Steintreppe empor. Feline wies zum Küchenfenster hinaus.
„Helft dem Großvater, aber schnell! Wir kriegen einen Tornado!“
Die siebzehnjährigen Zwillinge erwachten schlagartig aus ihrer Trägheit.
„Verdammt!“, stieß Jan plötzlich aus. „Das sind ja sogar zwei Windhosen!“


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Verschwunden
Sie sind erschöpft, fix und fertig nach der langen Suche und klitschnass wegen des Herumrennens von einer Straße zur anderen im strömenden Regen, bis sie sich schließlich zurück zum Haus begeben haben, in der Hoffnung, dass Amelie wieder aufgetaucht ist.
Aber das ist sie nicht! Für einen Moment schließt Josephine die Augen und atmet tief durch. Wo ist sie nur?
*

Hart peitscht ihm der Wind den Regen um die Ohren. Prasselnd, kalt und unbarmherzig ergießt sich die Flut über Jacke und Kapuze. Die Brücke bildet eine Windschneise, unbarmherzig drückt er gegen den Körper. Lange Pfützen haben sich gebildet, über die man balancieren muss, um keine nassen Füße zu bekommen. Dann erst die Treppe zum Fußweg, glitschig von Dreck und Restlaub. Das Geländer ist klamm, die Feuchtigkeit dringt durch die Handschuhe, so als müsste sie sich noch zusätzlich bemerkbar machen. Autoreifen zischen über Aquaplaning, die Bewegungen der Scheibenwischer an den Fahrzeugen klingen wie eine gerade instand gesetzte Wassermühle und zu allem Überfluss rast ein Radfahrer außerhalb des Radweges quer an ihm vorbei. Wasser wirbelt auf, spritzt in alle Richtungen, auch gegen seine neu erworbene helle Winterjacke.
‚Jawohl, es ist Winter!’, sinniert Bellmann mürrisch. ‚Aber nicht der Winter, den man sich erträumt, mit zarten weißen Schneeflocken, die flüsternd vom Himmel fallen, und weich Erde, Häuser und Gartenzäune in silbrige Watte hüllen. Auch nicht der Winter, in dem sich die Geräusche der Stadt in dumpfe Töne verwandeln, weil der wundersame Schnee alles dämpft, was er umgibt.’
Kommissar Richard Bellmann ist wirklich nicht bester Laune, ja, es darf gesagt werden, dass ihm das Wetter heute besonders auf den Geist geht, während er gegen halb Acht des dritten Januar, die kalten Hände in den Taschen, in Richtung Büro stapft. Na gut, es ist eher ein Tänzeln zwischen den Wasserlachen hindurch, welches ihn wie ein Nashorn im Spitzenballett aussehen lässt. Die Brille ist ihm auf die Nasenspitze herunter gerutscht, das Käppi auf seinem Kopf hängt tief über den Augen zum Schutze gegen den feuchteisigen Wind und die triefende Nässe. Dies verlängert wiederum die Vorderfront seines Gesichtes in dem Maße, dass sein Profil dem Kopf des besagten afrikanischen Spitzmaulnashorns im Dämmerlicht des Morgens schon sehr ähnlich sieht.
Zudem verfügt der Herr Kommissar über eine beachtliche Leibesfülle, welche er jetzt seufzend durch die Eingangstür des Polizeigebäudes drückt.
Sein Kollege Steen van Hargen ist bereits eingetroffen, hält eine dampfende Tasse Kaffee in den Händen und begrüßt den Kollegen mit: „Was für ein Wetter, Rick! Ich wäre liebend gern im Bett geblieben.“
„Wem erzählst du das?“, brummt Bellmann. „Aber der Job ruft.“
„Ja, und wie“, erwidert Steen. „Wir haben heute morgen eine Vermisstenanzeige reinbekommen. Ein Mädchen, vier Jahre!“


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Die Stärkeren siegen
Dann sauste Dracula heran und zum Schluss der etwas langsamere Frankenstein. ‚Ja, sie haben schon ihre Rangordnung, die kleinen Racker’, lächelte er in sich hinein. Beseelt goss er sich ein drittes Glas Bourbon Whisky ein.
„Prost Freunde! Nachtisch gefällig?“
Grinsend kippte er die Hälfte des Inhaltes aus dem Glas ins Wasser und trank den Rest in einem Zug leer. Schattenhaft glitten ihre Körper durch das Becken. Seine Frau Lydia war nicht sehr begeistert gewesen, als er seine neuen Freunde mitgebracht hatte.
„Piranhas? Bis du verrückt geworden?“, hatte sie gekeift. „Welcher Idiot schafft sich denn Piranhas an?“ Das mit dem Idioten hatte er ihr sehr übel genommen. Ihre Ehe war sowieso seit langer Zeit nur noch ein Trugbild.
Aber jetzt war er böse, sehr böse.


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Föhrer sind wortkarg
Frost kroch über die Deichkrone und die Brandung küsste forsch das Ufer. Dunkle Schneewolken verschleierten die Sonne. Sie ließen die Reetdachhäuser wie geheimnisvolle Hügel erscheinen, mit glänzendem Schmuck, denn hinter den Fensterscheiben der niedrigen Katen und Kapitänshäuser funkelten unzählige Lichter. Dies jedenfalls kam Sarah in den Sinn, als sie mit der MS Nordfriesland in Wyk auf Föhr anlegte. Die Euphorie schwand, während sie ihren Trolley vom Fähranleger Richtung Bushaltestelle schleppte.
‚Was hast du dir nur dabei gedacht, in dieser Jahreszeit auf eine Insel zu fahren? Kannst du nicht vorher überlegen, wie beschwerlich es werden könnte? Der Weg ist glatt, der Koffer ist zu schwer, du hast die falschen Schuhe an und dieses grässliche Tuch rutscht auf dem Haar wie Schmierseife.’
Eigentlich hätte es den Wind abhalten sollen, aber inzwischen weigerte es sich standhaft, dies zu tun. Es hing schief fast auf ihrer Schulter. Verzweifelt versuchte sie, es wieder an die vorgesehene Stelle zu zerren.
„Mist!“, fluchte sie, als der Wind ihr die Achtzig-Euro-Frisur endgültig zerzauste und das Tuch flatternd mit sich nahm.
Eine Frau mit kurzem Haar überholte sie und rief ihr lachend zu: „Tja, vergebliche Mühe, meine Liebe. Auf Föhr gibt es keine Frisur. Hier gibt es nur Haare!“ „Sehr witzig“, rief Sarah ihr nach und blieb für ein paar Sekunden schnaufend stehen. Doch der kalte Wind kroch unbarmherzig durch den Stoff ihrer Hose und die Halbschuhe hielten ihn auch nicht fern.
Und ..., ach du Schreck, dort stand bereits der Bus!
So zog sie mühsam an ihrem Koffer, schlitterte über Kopfsteinpflaster, versuchte an Tempo zuzulegen und ....
... landete schmerzhaft auf ihrem Hinterteil, welches sofort unangenehm feucht wurde.
Das Köfferchen aber rutschte mit einem kräftigen Schwung auf die Straße. Autobremsen quietschten, empörtes Hupen und es gab ein eigentümliches Geräusch, welches Bilder in Sarahs Kopf hervorriefen, die sie liebend gerne nicht gesehen hätte. „Hoppla!“, meinte eine dunkle Stimme neben ihr. „Nicht so temperamentvoll!“
Auf solche Sprüche konnte sie im Moment absolut nicht. Aber anstatt zu kontern, versuchte sie sich erst einmal mühsam aufzurappeln, glitt jedoch immer wieder weg. Zwei kräftige Männerhände packten sie unter den Achseln und zogen sie auf die Beine. „Na geht´s?“
Sie ging dem Hünen etwa bis zum Ellbogen und musste sich richtig strecken, um sein bärtiges Gesicht zu sehen, wo eine Wollmütze bis über die Stirn gezogen war. Typisch nordisch also, auch die hellblaue Augen. ‚Mein Gott, was für ein Kraftpaket!’, dachte sie.
„Alles in Ordnung?“, fragte er. Sie nickte nur und hoffte, dass er nicht ihre durchnässte Kehrseite sah. Dann fiel ihr Blick auf ihren Trolley oder auf das, was davon übrig war.
„Oh nein!“, hauchte sie erschrocken.
Er war im wahrsten Sinne des Wortes „platt“.


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Sternenspringer - Verschlungen vom Universum -
Sterne tanzten vor ihren Augen, als sie mit einem grässlichen Dröhnen im Kopf erwachte. Für einige Sekunden dachte sie, erblindet zu sein, aber dann schälte sich nach wiederholtem Blinzeln die Umgebung aus dem grauen Schleier. Geschüttelt von einem heftigen Hustenanfall versuchte sie der widerlichen Übelkeit, die sich durch ihren Magen zog, Herr zu werden. Shana schluckte unwillig Galle herunter. Mühsam richtete sie ihren schmerzenden Oberkörper auf, um Luft zu bekommen. Als sich ihre Bronchien einigermaßen beruhigt hatten, sah sie sich um. Ihr Herz klopfte immer noch rasend. Sie versuchte es zu ignorieren, doch der Lebensmotor hatte seinen eigenen Willen und schlug überschnell in ihrer Brust bei dem Anblick, der sich ihr bot. Ein großes Felsplateau! Steine, Staub und die Endlosigkeit des Himmels, an dem eine riesige Sonne auf sie hernieder brannte.
‚Ruhig Blut’, mahnte sie sich. ‚Ganz ruhig! Du träumst nur!’ Ihre Augen wanderten ungläubig über den harten Fels, auf dem sie saß. Eine dicke graue Staubschicht bedeckte ihre Finger und erinnerte Shana an Asche. Sie schüttelte den Kopf, um das ungewohnte Bild zu verscheuchen, doch es blieb. Dann bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Sechs weitere Gestalten lagen regungslos rund um sie verteilt am Boden. Ihre Arbeitskollegen.
Zwei Meter entfernt von ihr streckte Jay auf dem Bauch liegend alle Viere von sich. In diesem Moment hob er den staubverschmierten blonden Schopf. Mit einer Hand wischte er sich über die blauen Augen, woraufhin graue Schlieren Stirn und Wange zierten.
"Oh, ist mir schlecht", krächzte er benommen. Er sah auf seine Hände. "Bah, was ist das denn!" Shana kam nicht dazu, ihm zu antworten, denn dicht neben ihm begann ihre Freundin Angie panisch nach Luft zu schnappen und zu würgen, bevor auch sie heftig von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Shana robbte zu ihr herüber. Jede Bewegung verursachte ihr Schmerzen. Angie schaute sich irritiert um. "Was ... was ist hier denn los? Wo sind wir?" "Keine Ahnung, Angie!", flüsterte Shana hilflos. Taumelnd halfen sie sich gegenseitig auf die Beine und zogen auch Jay hoch.
Ziemlich ratlos begann Shana mit den Fingern ihr zerzaustes Haar zu ordnen. ‚Was ist nur geschehen?’, überlegte sie. Langsam kamen die Erinnerungen zurück. Der Fahrstuhl, die Kollegen darin, eine fürchterliche Erschütterung, durch die sie in der engen Kabine schrecklich durcheinander geschleudert worden waren, ihre Panik in dem Moment und dann? Sie musste ohnmächtig geworden sein. Und nun waren alle sechs Kollegen und Kolleginnen, die sich mit Shana im Fahrstuhl befunden hatten, hier auf der eigenartigen Bergplatte. Sie sah sich um. Die Unwirklichkeit der Situation war grotesk. "Hast du das Beben gespürt, als wir mit dem Fahrstuhl hochfuhren?", fragte sie Coy, die gerade ihr Bein nach Verletzungen abtastete. Die Arme reibend stand diese auf und schluckte, als ihr Blick über die Umgebung wanderte.
"Auf alle Fälle sind wir nicht dort, wo wir hinwollten. Seht euch das an!" Ihre Stimme klang hohl. Sie wies mit ausgestrecktem Arm in die Ferne. Einer nach dem anderen erhob sich und musterte verblüfft den ungewohnten Anblick. Niemand brachte ein Wort über die Lippen. "Verdammter Mist!", brach Angie schließlich das Schweigen. "Wo sind wir?"
"Wenn ich das nur wüsste", erwiderte Shana. Wie waren sie hier gelandet, mitten auf einem etwa fünfzig Meter breiten Felsvorsprung aus schwarzem Gestein? Das Plateau war hinter ihnen durch hohe spitze Felszinnen halbkreisförmig eingerahmt und nur zu einer Seite offen. Unter ihnen erstreckte sich ein weites Blätterdach unzähliger riesiger Bäume. Das Land wellte sich wie ein Strickmuster aus grüner Wolle bis hin zum Horizont. Ziemlich weit entfernt von ihrem Standort glitzerte eine Vielfalt bunter Punkte, als ob die gleißenden Sonnenstrahlen sich in Irgendetwas mosaikförmig brachen. Shana ging zum Rande des Plateaus und sprang erschüttert zurück. Unter ihr fiel die dunkle Felswand mindestens zweihundert Meter fast senkrecht steil ab, wie ein gieriger Schlund, der nur darauf wartete, jeden Unvorsichtigen zu verschlingen. Der Fels bot keinerlei Halt zum Herabklettern. Ernüchtert erkannte Shana, dass sie auf dieser Seite nicht von dem Berg heruntergelangen konnten.
"Das hat uns noch gefehlt", flüsterte sie, während sie mit aufgerissenen Augen das unter ihnen liegende grüne Tal musterte. Die unglaublich steile Tiefe verursachte ein unwohles Kribbeln in ihrem Körper. Das üppige Laub der Urwaldbäume verdeckte komplett den Boden des Waldes. Man konnte nicht einmal ahnen, wie weit es hinunterging.

Tagawa, der Prinz der Falken und Anführer der Kriegerfalken, stand nachdenklich neben den Sensoren auf dem Dach der Wohnkuppel und grübelte über die Ursache des Bebens nach. Bisher hatten die Bewohner dieses Planetens, zumindest seit er lebte und zurückdenken konnte, niemals ein Erdbeben erlebt. Sollte seine Welt etwa bedroht sein? Kamen fremde Mächte hierher, um sie zu unterwerfen, so wie die Spartrenen es von Zeit zu Zeit immer wieder versuchten? War es vielleicht eine unbekannte Waffe ihrer Feinde, die das Land in Bewegung gebracht hatte?
Er war ein Krieger, hatte geschworen, für den Frieden seines Volkes zu kämpfen, genauso wie es auch seine ständigen Begleiter, Salamon, Rapsis und alle anderen Kriegerfalken tun würden. Sie folgten ihm bedingungslos, weil sie seine Klugheit und seinen Mut schätzten und sich auf ihn verließen, genau wie er sich auf sie verließ. Er spähte zum heiligen Plateau herüber, welches sich in einiger Entfernung aus dem Urwald erhob und hielt seine Hand wie einen Schirm schützend vor seine Augen.
Bewegte sich dort nicht etwas? Nachdem er einige Minuten lang herübergestarrt hatte, ohne etwas Genaueres erkennen zu können, veränderte er wiederum seine Gestalt. Er erhob sich als Falke verwandelt elegant in die Lüfte, kreiste über den Bäumen und gab seinen Freunden, die sich noch an einer der Ausflugrampen befanden, mit einem hohen Schrei das Zeichen ihm zu folgen. Er wollte sich die Sache aus der Nähe ansehen. Irgendetwas geschah dort auf der Hochfläche.
Als sie sich dem Plateau näherten, erkannten sie dort mehrere menschlich aussehende Lebewesen. Wie kamen sie dort hinauf? Waren es etwa Falkenmenschen? Wut stieg in ihm auf. Wie konnten diese Kreaturen es wagen, den heiligen Platz zu betreten?
Er umkreiste mehrmals die rotbraunen Felsen. Seine Falkenfreunde folgten ihm. Dann verteilten sie sich auf den Felsenspitzen oberhalb der Fremden und beobachteten sie aus der Nähe. Zwei der Fremden kamen plötzlich neugierig näher und musterten den Vogelschwarm. Tagawa beschloss, seine menschliche Gestalt anzunehmen, um sie zu fragen, wer sie waren und wie sie auf das Plateau kamen. Danach wollte er sie gefangen nehmen, weil sie die heilige Stätte des Falkenvolkes mit ihrer Anwesenheit beschmutzt hatten. Entschlossen flog er auf sie zu, landete und stand im selben Augenblick als Mensch vor ihnen. Seine vier Kameraden folgten seinem Beispiel ohne zu fragen. Groß und stark bauten sie sich vor den fremden Wesen auf, um sie weiter einzuschüchtern.


Erschrocken wichen Shana und Angie zurück. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Falken direkt vor ihnen landen würden. Als dann plötzlich fünf ausgewachsene kräftige Männer mit Krummsäbeln und grimmigen Gesichtern vor ihnen standen, flüchteten sie nochmals mehrere Schritte nach hinten zu den anderen, bis sie fast an die Felswand stießen.


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Sternenspringer - Illusion der Sehnsucht -
Die großen Schwingen des Falken berührten fast die Baumwipfel, bevor er sich erschöpft auf einem etwas dickeren Ast im oberen Bereich einer uralten Eiche niederließ. Er zog die Flügel an seinen Körper und begann sein staubiges Gefieder zu putzen. Seit über zwei Monaten war nun kein Regen mehr in den kanadischen Wäldern gefallen. Es war Anfang Juni, doch bereits so heiß wie im tiefsten Juli oder August. Die Vegetation wie auch die Tiere des Waldes warteten sehnsüchtig auf eine erfrischende Abkühlung.
Nachdem der Falke seine morgendliche Reinigung hinter sich gebracht hatte, erhob er sich erneut in den grellen Sommerhimmel und zog seine Kreise. Mit scharfem Blick überwachte er die Gegend. Seit einigen Stunden klangen von weitem ungewöhnliche Geräusche zu ihm herüber. Seine ausgeprägten Sinne warnten ihn vor der Gefahr, doch die Neugier war größer. Er flog in die Richtung, um die Ursache der Störung zu erforschen. Etwa einige hundert Meter unter sich bemerkte er eine Gruppe Männer mit Gewehren.
Als diese den Falken erblickten, hoben sie die Waffen und schossen wild in seine Richtung. Der Vogel versuchte auszuweichen, schlug stärker mit den Flügeln, um aus der Gefahrenzone zu entkommen. Plötzlich streifte ein Geschoss den Flügelbereich des Falken. Er musste all seine Kraft zusammennehmen, um nicht abzustürzen. Geschwind ließ er sich seitlich herübertreiben und verschwand einige hundert Meter weiter zwischen dichten Baumkronen. Hier stand am Abhang eines Hügels eine kleine Blockhütte, gut versteckt und kaum wahrzunehmen. Der Falke landete auf der Bank vor der Hütte. Im selben Moment, als der Vogel die Bank berührte, saß dort stattdessen eine Frau. Sie war sehr schlank und hatte langes helles Haar. Ihr Gesicht war vom Schmerz verzerrt, denn die linke Schulter blutete stark.
Mit zusammengebissenen Zähnen erhob sie sich von der Bank, drückte die Tür des Blockhauses mit der unversehrten Schulter auf, während sie mit der rechten Hand den linken Arm stützte und schob sich durch den Spalt der schweren Eichentür ins Dunkel der Hütte. Schnell verriegelte sie diese von innen und ließ sich stöhnend auf ein Lager aus Stroh fallen, über das eine Decke ausgebreitet war.
Inzwischen schwärmten die Jäger aus. Sie suchten nach dem Falken. Es waren sechs Männer. Bärtig, braungebrannt und kräftig gebaut glichen sie eher Holzfällern als Touristen. Dass sie beides nicht waren, würde jemand, der zufällig lauschte, sofort erkennen.
"Ross", brummte der eine barsch. "Nimm dir zwei Männer und such die Gegend nahe des Wasserfalles ab. Ich gehe mit Hugh und Flight in die andere Richtung. Irgendwo muss das verdammte Vieh gelandet sein." "Ok, Smitty! Kommt Leute, gehen wir! Achtet auf Blutspuren, wir haben ihn getroffen. Er kann nicht weit sein!" Ross stakste breitbeinig los. "Und wer passt auf die anderen Vögel auf?" Flight, ein kleiner untersetzter Endfünfziger mit grauen lichtem Haar wies auf einen Stapel Gitterkisten, in denen bereits mindestens neun verschiedene Raubvögel gefangen waren.
"Na gut", antwortete der erste Kerl, "bleib mit Ron hier und pass auf das Gefieder auf. Ich denke, wir sind schnell zurück. War übrigens ein besonders schönes Exemplar, der letzte Bursche, Leute. Wäre schade, wenn wir den nicht finden!"
"Ich habe ihn schon oft hier in den Bergen gesehen, doch er war meist nach kurzer Zeit wieder verschwunden, noch ehe ich mein Gewehr bereit hatte", meinte Ross beim Weitergehen zu Howard. Sie stiegen den ansteigenden schmalen Waldweg hinauf, laufend ins Unterholz spähend. Doch nirgends konnten sie den Falken entdecken. Vor einem dichten Gestrüpp blieb Howard ruckartig stehen. "Hier, sieh mal, Blutspuren!", raunte er seinem Kumpel zu. Dieser bückte sich und untersuchte die wenigen Flecken auf dem Boden. "Frisch!" Er erhob sich und blickte lauernd um sich. "Er muss hier irgendwo sein." Plötzlich entdeckten sie mehrere Meter schräg über ihren Köpfen einen strauchbewachsenen Abhang, an dessen oberem Ende in einer kleinen Felseinbuchtung eine morsche Blockhütte stand.


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Outgirl - Nick und Jamon
Die Sonne war im Begriff unterzugehen, dachte er verzweifelt, denn die wärmenden Strahlen, welche sein Gesicht fast mütterlich besorgt streichelten, färbten sich bereits rötlichviolett.
Dann würde unwiderruflich die Dunkelheit kommen und er war mit seinen Händen und Füßen an diesen grässlichen Elektrozaun gefesselt. Es handelte sich lediglich um eine Galgenfrist, die verging bis es soweit war, dass sich die, in seine Handgelenke schneidenden Schnüre, unter seinem Körpergewicht von den eisernen Stäben des Zaunes lösten. Dies war ihm in den letzten Stunden so klar geworden wie ihm noch nie etwas klarer gewesen war.
Unter ihm, er schätzte mindestens vier Meter tiefer, glänzte der nackte Asphalt der Begrenzungsanlage des hiesigen Wassersperrwerkes gleich eines schwarz erkalteten Lavastromes. Der Damm schwang sich in Form eines gewaltigen Wulstes aus glatt gemeißeltem Teer, auf fünf Metern Breite, rund um ein riesiges Becken. Hier plätscherten Unmengen Regenwasser in seichten Wellen, das wiederum, irgendwann zu Trinkwasser verarbeitet, die trockenen Kehlen tausender Lebewesen erquicken sollte.
Die Stauanlage befand sich auf einem dicht bewaldeten Hügel inmitten des Sachsenwaldforstes. Sie war umgeben von rötlichorange anmutenden Laubbäumen, zwischen denen sich stattliche dunkelgüne Fichten wie schlanke Riesen emporhoben, unbekümmert des einsetzenden Herbstwetters, dessen Kälte und Stürme die Blättertragenden in Mitleidenschaft gezogen hatte. An einer Stelle des Wasserbeckens gingen sechs breite Zementgräben ab, die mit mehreren Staustufen durchsetzt waren. Sie mündeten, verhältnismäßig steil bergab, in einem großen Fluss. Einer der seltenen Jahrhundertregen, mit sintflutartigen Regenfällen, hatte in den vergangenen Tagen den Wasserstand im Becken so stark anschwellen lassen, dass derzeit ein tosend schäumender Wasserfall durch die Gräben talwärts tobte, um das, bis zum Rande gefüllte Becken von der überschüssigen Last zu befreien. Gleichzeitig jedoch erzeugte diese gewaltige Flut durch ihre Kraft in den angeschlossenen Turbinen neuen Strom für die naheliegende Großstadt und das Umland. Gierig schluckte der breite Fluss, mit dem Namen Elbe, die feuchten Massen. Sein Weg hatte bereits im Elbsandsteingebirge begonnen. Nun strebte er mit geschwollenen Ufern der breiten Mündung in der Nordsee zu.


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Outgirl - Der Shadow-Flyer
"Ein tolles Fluggerät", flüsterte er Jamon zu. "Diese Organisation muss über eine fortgeschrittene Technik verfügen." Jamon nickte. Er war wie berauscht von dem Tempo, obwohl man im Inneren des Fliegers körperlich kaum die immense Geschwindigkeit spürte.
"Kurs setzen auf 85° alpha 604-20.03 dicht an die Pheripherie", ordnete Adia in diesem Augenblick an.
"Kurs ist gesetzt", bestätige Trudan.
"Tarnvorrichtung einschalten!" Wieder war es Adia, die mit knappen Worten ihre Befehle gab.
"Tarnvorrichtung steht!"
"Tarnvorrichtung?" Nick schüttelte verwirrt den Kopf und tauschte mit Jamon einen Blick des Unverständnisses aus.
"Wir haben noch zwanzig Sekunden bis Punkt Zero!", meldete Isabel.
"Omega-Antriebe hochfahren!“, befahl Adia.
Das brummende Geräusch nahm zu.
"Countdown zum Start in zwölf Sekunden!" Adia´s befehlsgewohnte Stimme übertönte den nun doch stärker gewordenen Motorenlärm. "Zehn-neun-acht-sieben-sechs-fünf-vier-drei-zwei-eins-Zero und Start!"
Achmed zog den Steuerknüppel hoch. Seine Augen glichen kleinen Schlitzen, aber auf seinem Gesicht spiegelte sich zum ersten Mal seit Beginn des Fluges ein Lächeln, wie Nick staunend bemerkte.
"Yieiiiiii.....!", rief Trudan. "Haltet euch fest Leute. Jetzt geht es los!"
Er lachte, während er mehrere Knöpfe auf der Konsole drückte und wie ein Klavierspieler darauf herumklopfte.
Plötzlich wurden sie von einer zur anderen Sekunden in die Sitze gepresst. Nick blieb fast die Luft weg. Er schluckte, denn irgend etwas in seinem Magen versuchte sich seinen Weg nach oben zu bahnen. Er wollte schreien, doch brachte keinen Ton heraus. Seine Finger krallten sich in die Lehnen und als er den Kopf ein wenig in Richtung Jamon und Peer wandte, bemerkte er, dass es diesen beiden wohl ähnlich gehen musste. Sie klammerten sich ebenfalls an ihre Sessel.
"Oh, wie ich diese Starts hasse!", stieß Peer zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Und du hast uns nicht mal gewarnt!", beschwerte sich Nick, während er die Luft aus seinen Lungen presste. "Das ist ja schlimmer als Achterbahn fahren!"
"Hätte das etwas geändert?"
"Nein, wahrscheinlich nicht. Aber wieso dieser Steilstart. Wir waren doch nun wirklich schon schnell genug?"


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Chaosnadel - Der Beginn
Ein stechender Schwefelgeruch kroch durch die schattenhafte Finsternis. Phosphorene Dämpfe spiegelten sich in der gekräuselten Oberfläche der unterirdischen Therme. Schritt für Schritt tastete sich Sirina mit ihrem Leuchtstab über Geröll. An der Wasserkante war der Geruch kaum noch zu ertragen. Sie band sich ihr Halstuch vor Mund und Nase. Die Griechischstudentin verbrachte zur Zeit auf der Halbinsel Sirmione ihren langersehnten Urlaub. An der Ruinenmauer der Grotte di Catullo war ihr ein durchdringender Geruch aufgefallen. Sie hatte die Efeuranken zur Seite geschoben und dahinter einen dunklen Gang entdeckt. Im Museum der Anlage gab es zwar Pläne der ehemaligen Villa, doch keine Aufzeichnungen über diese Öffnung. Am späten Abend war sie zur Ruine zurückgeschlichen. Sie wollte erkunden, was hinter den Kletterpflanzen lag. Der niedrige Tunnel hatte sie schräg bergab in diese faszinierende Höhle geführt. Sirina ließ den Strahl des Leuchtstabes langsam über die Wände der Grotte gleiten. Plötzlich zuckte sie zusammen. Was war das? Was hing dort vor der gegenüberliegenden Wand? Als sie sich näherte, erkannte sie eine alte, mit Grünspan bedeckte Kette, an derem Ende schwebte knapp über der Wasseroberfläche ein langer glitzernder Stift. Das musste sie sich vom Dichten ansehen! Sie wagte einen Sprung zu einem schmalen Sims über das Wasser, rutschte jedoch auf dem feuchten Stein aus und konnte sich gerade noch in die Unebenheiten der Felsen krallen. Erleichtert pustete sie den Atem aus. Die unglaubliche Entdeckung in Form einer kristallenden Nadel hing nun direkt vor ihr. Die Spitze blinkte metallisch. Das Erstaunlichste jedoch war, dass sie sich trotz des wirbelnden Wasserdampfes, in den sie gehüllt war, nicht bewegte, obwohl das untere Ende genau auf den Punkt im Wasser zeigte, wo die Quelle am kräftigsten sprudelte. Sirina beugte sich vorsichtig vor und strich leicht über den Kristall. Seine Oberfläche fühlte sich eiskalt an und gab bei der Berührung einen hohen Ton von sich. Wie elektrisiert lief ihr ein Schauer über den Rücken. "Was haben Sie hier denn zu suchen?" Der italienische Ausruf fuhr ihr durch Mark und Knochen. Sie verlor das Gleichgewicht, ruderte mit den Armen, fiel fast in die brodelnde Brühe und rettete sich in letzter Sekunde, in dem sie sich mit dem Rücken gegen die Felswand warf. In der Nähe vernahm sie eilige Schritte. Ein Lichtkegel traf ihr Gesicht. In ihrer Not, nicht wieder abzurutschen, brüllte sie wütend auf deutsch zurück: "Sind Sie verrückt geworden, mich so zu erschrecken? Nehmen Sie diese verdammte Lampe weg!" Der Kegel senkte sich tatsächlich. Sie hörte ein Seufzen. "Na, kommen Sie, ich helfe Ihnen zurück." Die Stimme klang deutlich freundlicher und der Mann, dem sie gehörte, sprach jetzt ebenfalls deutsch. Im Schein ihrer Leuchtröhre, die sie am Gürtel befestigt hatte, erschien eine Hand. Sirina griff danach und ließ sich hinüber auf den feuchten Speckstein ziehen.
"Was treiben Sie hier bloß? Sind Sie lebensmüde?" Seine Stimme klang verständnislos. Sirina hob ihr Licht und musterte den Überraschungsbesuch. Er war etwa in ihrem Alter und trug eine abgetragene Wächteruniform. Sie runzelte die Stirn. "Wer sind Sie?" "Ich bin der Museumswächter, Vittorio Briselli."


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Chaosnadel - Im Atem des Vulkans
Weinende Kinder in den Armen von Frauen, alte Menschen auf Steinen sitzend, die Luft mit beißendem Schwefelgeruch geschwängert, die Straßen voll Ascheschlamm und der Himmel milchig verdunkelt. Das war nur ein Teil der Bilanz nach dem verheerenden Vulkanausbruch, der, von schweren Erdbeben begleitet, mindestens zwei Randbezirke Catanias betroffen hatte. Manfred stand neben seinem Auto am Straßenrand, in der Hand eine Wasserflasche. Er schaute düster auf die Autoschlange, die sich träge an ihm vorbeiwälzte. Viele der Einwohner flüchteten. Der Vulkan schien zwar nicht mehr ganz so heftig zu reagieren, doch die Angst stand den Menschen in den Gesichtern geschrieben. In diesem Moment tauchte Aric mit verschwitztem Gesicht neben ihm auf. Der Geophysiker war laufend in Kontakt mit seinen Kollegen rund um den Ätna. Sie sollten jede Veränderung des Vulkans an eine zentrale Leitstelle melden. "Oberhalb von Nicolosi hat es eben einen Durchbruch der Magma gegeben!", keuchte er. "Ich soll die Leute dort beim Messen der Frequenzen unterstützen. Fährst du mich hin?" "Oh! Du meinst, wir kommen hier durch?" Missmutig wies Manfred auf die verstopfte Straße. "Thomas hat mir auf dem Plan eine Nebenroute gezeigt. Die können wir benutzen", erwiderte der Freund. Manfred schraubte achselzuckend die Wasserflasche zu. Besser, als hier zu stehen, war es allemal, dachte er grimmig. "In Ordnung, versuchen wir es!" Die breiten Reifen des Wagens gruben sich durch den puddingweichen Untergrund den Berg hinauf. Es war durchaus kein angenehmes Gefühl, im Auto zu sitzen, denn auch hier spürten sie die Vibrationen des Bodens. Aric wies in Richtung Osten. "He! Ist das nicht Nigel?" Geschwind kletterte er über die bizarren Lavabrocken zu seinem Freund hin. Als er neben ihm stand, wollte ihm fast der Atem stocken. "Oh mein Gott!" Bei diesen Worten drehte sich Nigel zu ihm herum. Das Weiße seiner Augen stach hell aus dem rußgeschwärzten Gesicht heraus, was ihm das Aussehen eines halbverhungerten Landstreichers gab. Er wies mit dem Kopf auf eine mehrere Meter breite heiße Schuttlawine unter ihnen, die sich auf die, nicht weit entfernten Steinhäuser des Dorfes Nicolosi zuwälzte. Eine Gasfontäne zischte an Arics Kopf vorbei und spieh glühende Erdbrocken aus. Mit einem Aufschrei rollte er sich zur Seite und bedeckte schützend die Augen. Nigel kroch auf allen Vieren einige Meter von der Erdspalte weg. Plötzlich brach mit dumpfen Poltern ein Stück des Bodens an der Stelle ab, wo er sich gerade aufrichten wollte. Er rutschte bäuchlings das Gefälle hinunter, bis er sich an einigen aufgeheizten Felsbrocken festklammern konnte. Aric robbte an die Felskante und starrte verzweifelt in den Abgrund. Es war zu tief. Er konnte Nigel nicht erreichen. "Ich hole Manni!", brüllte Aric in den Krach des donnernden Vulkans hinein. "Mit dem Auto und einem Seil können wir dich heraufziehen!" In diesem Augenblick sackte der Vorsprung weg, auf dem er lag. Er stürzte dem glühenden Fluss in der neu entstandenen Senke entgegen, rutschte über Steine und scharfen Bims, schlug sich die Stirn an irgendetwas Hartem und landete schließlich auf einem flachen Felsen, ein ganzes Stück unterhalb von Nigel, direkt neben der Geröllglut. Er hatte nicht einmal schreien können, stattdessen schmeckte er Blut, gemischt mit Staub und Kiesel und spürte jeden Knochen im Leib. Beißender Schwefelgeruch lähmte seine Lungen. Hustend richtete er sich von dem wankenden Boden auf. Die Hitze schien ihm die Gesichtshaut zu verbrennen. Mit einem Arm vor dem Gesicht rückte er bis an die steil ansteigende Spaltenwand zurück. Er sah hinauf zu seinem Freund. Ein bestürzter Blick traf ihn. Dann bemerkte er eine Bewegung am oberen Rand des Abgrunds. Es war Manfred. "Oh nein", flüsterte Aric. "Lass nicht auch noch ihn abstürzen." Sekunden später verschwand Manfred. Aric wandte sich dem dahinschiebenden Lavastrom zu. Seine aufgerissenen Knöchel pochten, die Haut schien zu explodieren, genauso wie sein Kopf. Die glühenden Gesteinsplacken tanzten unter flimmernden Schwaden. Formen und Figuren wirbelten in der fauchenden Satansglut. Flammende Schwerter stiegen aus ihr hervor ... `Bleib bei Sinnen, Aric', mahnte sein Unterbewusstsein. ‚Du musst hier weg!' Mühsam stemmte er sich an der Felswand empor und suchte nach Vorsprüngen zum Klettern. Immer wieder brach das lockere Gestein unter seinen Füßen weg. Schließlich sackte er keuchend in sich zusammen. Die Anstrengungen waren umsonst. Er würde den Aufstieg nicht schaffen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Brandblasen auf seinen Lippen. ‚Wie lange werde ich diese Hitze überstehen können, ehe sich meine Haut vom Körper schält?' dachte er niedergeschlagen. Seine gereizten Augenlider wurden schwer. Das hämmernde Geräusch in seinem Schädel schwoll an. Er kippte nach vorne und fiel auf die Hände, ergriffen von unaufhörlichem Husten. Der Hauch des Feuerteufels hüllte ihn ein. Sprühglut umtanzte ihn. Mit dem letzten Funken klaren Denkens stützte er sich ab, um nicht in das gierig zündelnde Gestein zu fallen. Plötzlich zuckte er zusammen. Im Strom der Lava war jemand. Zwei Augen schauten zwischen rotglühenden Felsbrocken hervor, aus einem flammenden Gesicht. Aric verkrampfte sich vor Schreck. War so das Sterben? Das Ersticken an giftigen Gasen? Atmete er überhaupt noch? Zwanghaft hob er eine seiner angeschwollenen Hände. Er wollte das Gesicht in der Lava berühren, dieses Engelsantlitz, das ihm das Ende seiner körperlichen Qualen versprach. Doch dann schlang sich etwas um seinen Bauch und um seine Schultern. Schwerelos hob sich sein Körper in die Höhe, entfernte ihn von dem erhofften Seelenheil. Schwarzer Qualm kroch in seine Lungen. Er röchelte voller Entsetzen. Die Hölle! Jetzt kam er in die Hölle! Er schloss endgültig die Augen. Komischerweise verspürte er keine Angst, nur Erleichterung, denn die siedende Hitze schwächte sich etwas ab. Mit einem Mal wurde er auf eine schwankende Unterlage gezogen. Etwas drückte auf seinen Mund und seine Nase. Sauerstoff! Hastig sog er die erleichternde Luft in die Lungen. Immer wieder schüttelten ihn Hustenkrämpfe. Schweißüberströmt öffnete er schließlich die Augen. Durch eine Nebelwand hörte er eine Stimme, verstand jedoch nicht, was sie sagte. Ein ohrenbetäubender Lärm hing in der Luft. Dumpf registrierte er, dass er sich in einem Hubschrauber befand.


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CHERIELL

Goldglänzend schlugen die Wellen gegen den Küstenstreifen, während die am Horizont versinkende Abendsonne ihre letzten Strahlen wie das wallende Haar einer rothaarigen Amazone über den bewegten Ozean schickte.
Als die Strömung sich zurückzog, ließ sie dunkelgrün funkelnden Algenschlamm auf dem hellen Sand zurück.
Im Schutze einer Palmengruppierung auf einem etwas erhöhten Granitstein, der dem Treiben der See nicht direkt ausgesetzt war, saß ein Adlerweibchen. Es ließ seinen Blick über die Schönheit des Farbenspiels gleiten und lauschte dem Klang der aufspritzenden Gischt.
Sein ungewöhnliches weißes Federkleid war für einen Moment in ein zartes Rosa gehüllt.
So wirkte es sekundenlang optisch fast wie einen Flamingo, wäre da nicht die offensichtliche Raubvogelsilhouette gewesen.
Wie jeden Abend hatte die stattliche Adlerdame hier sehnsüchtig darauf gewartet, dass die Abendsonne im Meer versank. Nun war es endlich so weit. Kurz entschlossen schwang sich der imposante Vogel in die Lüfte, rauschte zu einer kleinen geschützten Nische, welche sich seitlich des Felsens befand und ließ sich dort nieder. Inzwischen wurde der rote Feuerball endgültig vom Meer verschlungen.
Mit dem letzten Funken Sonnenlicht erstrahlte die Aura des Adlerweibchens in einem gleißenden Schimmer und als der Schein verglommen war, stand an der gleichen Stelle ein junges Mädchen mit weiß-blondem Haar.
Sie war von schlanker Gestalt und mit einem weißen Kleid aus flatterndem Stoff bekleidet, welches ihr bis zu den Knien reichte.
Nachdem sie kurz die feinen verbliebenen Adlerfedern aus ihrer langen Mähne geschüttelt hatte, sprang sie auf und lief barfuß den Strand entlang. Dabei hüpfte und tanzte sie leichtfüßig in freudiger Erregung über den feinen Sand der kalifornischen Küste.

*

Im Moment beobachtete sie ein Paar, das auf der langen Promenade eng umschlungen auf sie zukam und miteinander flüsterte.
Sie waren etwa zehn Schritte von Cheriell entfernt, als sie urplötzlich von einer Horde lederbekleideter Männer umkreist wurden. Drohend schwangen diese Ketten und blitzende Klingen. Die Kerle schienen Cheriell nicht zu bemerken, die erstaunt zusah, wie erst die Frau und dann der Mann zu Boden ging.
Einer der Ledertypen entwendete dem Mann ein kleines Päckchen, bevor die gesamte Gruppe schleunigst durch eine Seitenstraße davonstürmte.
Zurück auf dem Promenadenkies blieben die bewegungslosen Gestalten des jungen Paars.
Alles war so schnell gegangen, dass offensichtlich kaum einer der Passanten etwas mitbekommen hatte. Jetzt standen einige einfach nur total schockiert oder verblüfft murmelnd da und rührten sich nicht.
Auch Cheriell selbst musste sich erst einmal sammeln, bevor sie aufsprang und zu den Überfallenden lief. Sie kniete neben ihnen nieder und versuchte den Puls am Hals der Frau zu fühlen, spürte aber keinen.
Die Halsschlagader des Mannes pulsierte schwach. Aus seiner Schläfe lief ein dünner Rinnsal roter Flüssigkeit. Er lebte noch, brauchte aber dringend Hilfe. Cheriell war während ihrer Ausbildung zur Kundschafterin gelehrt worden, dass im Inneren eines Menschen der Erde diese Flüssigkeit in Form eines Kreislaufes floss genauso wie bei den Chartorianern. Man nannte sie auf der Erde Blut. Bei ihrem eigenen Volk floss Tzak, ein transparenter Energiestrom, der den Vogel-menschen das Leben gab.
So versuchte sie instinktiv die Blutung zu stoppen, indem sie ihren Daumen fest auf die pulsierende Ader drückte, aus der es kam.
Plötzlich berührte ein Mann Cheriell an den Schultern und zog sie sanft hoch. „Sie haben genug getan, Miss“, seine Stimme klang rau und belegt. „Alles Weitere muss der Arzt erledigen.
Der Rettungswagen ist bereits eingetroffen und der Hubschrauber kommt auch gleich.“
Cheriell blickte in seine freundlichen Augen, während neben ihr ein anderer Mann in Uniform knappe Befehle erteilte, um den Verletzten zu stabilisieren. Sachte schob er sie zur Seite.
„Haben Sie etwas beobachtet?“, fragte Captain Mark Terry die Fremde.

*

Soeben berichtete der Sprecher von einem außergewöhnlichen Meteoriten, der in der Nähe von Los Angeles steil niedergegangen war und nach dem man nun suchte.
„Eigenartigerweise“, ergänzte der Sprecher, „scheint es sich um ein besonders großes flaches Stück zu handeln. Einige Augenzeugen behaupten, er hatte die Form eines Adlers.“
Cheriell zog die Stirn kraus und setzte sich aufrecht hin. Sie sah Joel an. „Kommt so etwas hier öfter vor?", fragte sie ihn. „Ich meine, flache große Meteoriten in einer bestimmten Form, dessen Flugbahn nicht so leicht zu verfolgen ist."
„Davon habe ich noch nie etwas gehört", antwortete er, „ich stellte mir Meteoriten eher rund und zerklüftet vor. Wieso fragst du?"
„Es könnten meine Leute von Chartoriak sein. Ich bin ebenfalls fast senkrecht und äußerst schnell gelandet. Dabei fällt mir ein", überlegte sie, „wenn man unsere Shuttles von unten sieht, könnte man sie tatsächlich mit der Form eines fliegenden Adlers vergleichen. Sie müssen es sein, Joel. Nur komisch, dass ich bisher noch keinen telepathischen Kontakt mit ihnen bekommen habe. Es wäre hilfreich zu wissen, wo sie gelandet sind. Wieso haben sie sich nach unten gewagt, bevor sie mich erreichten?"
Nachdenklich schüttelte sie den Kopf.
Joel war hin und her gerissen zwischen der Angst, Cheriell zu verlieren und dem Verlangen ihr zu helfen, ihre Freunde zu finden.
„Hör zu", meinte er nach einer Weile, „ich bin sicher, sie werden Verbindung mit dir aufnehmen, wenn sie es wirklich waren. Aber bis dahin darfst du nichts überstürzen.
Du bist nur in Sicherheit, solange keiner herauskriegt, wer du bist. Denk daran, dass du noch nicht wieder fliegen kannst."
Er sah sie eindringlich an. Schließlich nickte sie. Joel schaltete den Fernseher ab und stand auf. Nach einigen Runden durch das Wohnzimmer und viele Blicken auf die auf den Boden kauernde Cheriell, fiel ihm plötzlich etwas ein, womit er sie ablenken könnte.
„Ey, Cheriell, was hältst du davon, mit mir einen kleinen Ausflug zu den Filmstudios zu machen. Wir wollen dort mit der Produktion eines Filmes beginnen. Die Kulissen werden bereits aufgebaut. Ich war seit einigen Tagen nicht mehr dort und würde gerne mal nachsehen, wie weit meine Leute sind. Es wird dir ganz bestimmt gefallen. Dort ist ordentlich etwas los. Hast du Lust?" „Oh Joel, du willst mich wirklich mal woandershin mitnehmen? Danke!"
Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn auf die Wange. Verlegen räusperte er sich und machte ihre Arme von seinem Hals los.
„Na dann komm", sagte Joel sanft und nahm ihre Hand, „auf zu Hollywoods Filmbranche."
Cheriell genoss die Fahrt in dem komfortablen Auto. Ihre langen Haare flatterten durch den Luftzug des geöffneten Fensters und das gab ihr ein Gefühl der Freiheit wie beim Fliegen.
Im Radio spielten sie wunderschöne Musik, die gut zu den summenden Geräuschen des Motors passten. Cheriell schloss die Augen und gab sich dem Gefühl des Wohlbehagens hin. Sie dachte, sie könnte ewig so weiterfahren und wünschte sich, dass die Fahrt schön lange dauern würde.
Joel sah zu ihr herüber und lächelte. Wie schnell hatte er es doch geschafft, sie auf andere Gedanken zu bringen. ‚Hoffentlich waren es nicht ihre Leute, die wie ein Meteor zur Erde herabgesaust sind,’ dachte er etwas egoistisch. Das würde ihm gar nicht recht sein. Während der vergangenen Tage war Joel nämlich eine Idee gekommen. Er wollte die hübsche Vogelfrau mit in seinen Film einbauen. Sie würden zwar nur des Abends und während der Nacht drehen können, aber er würde es schon hinkriegen, dass die Kulissen derart verändert würden, dass es zum Teil wie Tagesaufnahmen aussehe. Mit der neuen Computertechnik konnten seine Spezialisten die entsprechenden Effekte schon auf die Beine stellen. Joel musste nur noch Cheriell dazu überreden mitzuspielen. Er wollte sie langsam darauf vorbereiten. Sie sollte sich erst einmal den Drehort ansehen. Mit ihrem angeborenen Wissensdurst würde sie sicher alles über das Projekt wissen wollen. Endlich waren sie da, im Topanga Statepark. Dort befand sich derzeit ein mit Ausnahmegenehmigung errichtetes Filmset.

*

Er hatte während seiner Fahrt versucht, möglichst nicht aufzufallen. Seine Harley stand versteckt etwa 500 Meter von seinem jetzigen Standort entfernt unter einem Gebüsch.
Den Rest des Weges musste er zu Fuß gehen. Auch jetzt spähte er mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Er hatte sich zwar eine Taschenlampe eingesteckt, aber wollte sie aus Angst vor unliebsamer Entdeckung vorsichtshalber nicht benutzen. Seine Augen gewöhnten sich langsam an die düstere Umgebung.
Bei der Will Rogers Beach handelte es sich um einen breiten Strandabschnitt, an dem mehrere Felsausläufer direkt ins Meer hinein ragten. Die Asphaltstraße, die hier entlang führte, lag ein ganzes Stück höher als der Strand selbst.
An einer Seite, direkt gegenüber des Vorsprungs auf dem Antonio stand, gab es eine Palmengruppe. Sie war durch den ständigen Wind, der vom Ozean herüber blies, schon zu fünfundvierzig Grad dem Festland zugeneigt und sah aus als kippe sie jeden Moment um. Daneben erhoben sich zwei größere Steinblöcke wie Ungeheuer auf dem Strand.
Als Silhouette waren die Gebäude des Volleyballvereins zu erkennen.
Er schlich weiter und vermied es, ein Geräusch dabei zu machen. Seine Füße hatten gerade den Sandstrand berührt, als ein Rascheln ihn inne halten ließ. Schnell duckte er sich in der Hoffnung auf dem flachen Strand nicht als Mensch erkannt zu werden. Abwartend schaute er zur Palmengruppe hinüber, aus der dieser Ton gekommen war.
Mit einem Mal tauchte eine einzelne Personensilhouette neben dem dunklen Baumschatten auf und sah sich suchend um. Sie blieb etwa zehn Meter vor Antonio stehen. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Der Italiener spannte jeden Muskel seines Körpers und spähte zu der Person hinüber. Er erkannte, dass es sich um einen ziemlich großen Mann handelte.
‚Ein Dealer’, schoss es dem Italiener durch den Kopf. Sein Inneres bereitete sich auf einen Kampf vor.
Als der Mann wiederum einen Schritt auf ihn zu gehen wollte, sprang er ihm entgegen und versetzte ihm einem kräftigen Schlag gegen das Kinn. Antonio hatte nicht umsonst in seiner Jugend die Vizeboxmeisterschaft seines Landes errungen. Der Hieb schmetterte sein Gegenüber zu Boden, aber schlug ihn nicht k.o.!
Der Hüne stöhnte. Als Antonio ihn am Kragen packte, kam er dem Gesicht so nahe, dass er es trotz der Dunkelheit erkannte.
„Verdammt, Antonio“, fluchte Mark Terry und rieb sich sein Kinn, denn auch er hatte im selben Moment seinen Kollegen erkannt. „Was soll das? Bist du verrückt geworden?“ Antonio ließ ihn los und schluckte.
„Mark! Was um alles in der Welt tust du hier?“, fragte er verwirrt, während er versuchte, seinem Freund auf die Beine zu helfen.

*

Bark standen sämtliche Körperhaare zu Berge. Er hatte schon seit einer halben Stunde das Gefühl, jemand würde ihm folgen, konnte jedoch keine Person entdecken, obwohl er sich laufend umsah.
Der Commissioner der Ermittlungsstelle im Dezernat meinte, dass er Mark ganz bestimmt im Dance-Style finden würde. Schließlich ermittelte der Captain meist in diesem Discoschuppen. Und das Style würde nach seiner Ansicht unbedingt zu den ersten Läden gehören, in denen sich Mark umsehen würde.
Leider lag die Disco in einem zwielichtigen Viertel. Jetzt bereute Bark, nicht vorher versucht zu haben, Mark über Antonio oder Joel zu erreichen. Sein Handy hatte dummerweise keinen Strom mehr. Vergeblich suchte er eine Telefonzelle, die noch intakt war. Aber je weiter er ging, desto düsterer und verkommener wurde die Gegend.
Hinter ihm fiel eine Mülltonne um. Erschreckt fuhr Bark zusammen. Er hörte sein Herz bis zum Halse klopfen. Wieder blickte er sich um. Er erstarrte.
Neben der umgefallenen Tonne stand ein fetter Riese, der ihn fast zahnlos angrinste.
Den Blick bösartig auf Bark geheftet, kam er langsam näher. Bark wich zurück.
Plötzlich schlang sich der Arm eines anderen Mannes von hinten fest um seinen Hals.
Direkt unterhalb seines Kinns fühlte Bark hartes kaltes Metall. Er war unfähig sich zu bewegen.
Außer des starken Arms schnürte ihm die Angst die Kehle zu. Der Angstschweiß lief ihm über sein Gesicht. Grob stieß ihn der Angreifer vor sich her, dem Dicken vor die Füße. Unsanft schlug er mit dem Kopf auf dem Asphalt auf.
„Bitte ...!“ Bark versuchte ruhiger zu atmen, als er zusammengekrümmt am Boden lag.
Er blickte in die feindseligen Augen der widerlichen Kreaturen, die nun über ihm standen.
Jeden Moment rechnete Bark mit Schlägen und Fußtritten. „Was wollt ihr von mir? Geld? Ich habe etwas dabei, ihr könnt alles bekommen, was ich habe.“ Flehend sah er in die eiskalten Augen des Mannes mit dem Messer. Vorsichtig wollte er in seine Tasche greifen.
Der Kerl über ihm schlug seine Hand beiseite. Es brannte höllisch. Bark schrie auf.
Dann wurde er auf die Beine gerissen. Der Widerling griff ihm an die Kehle und drückte zu.
„Du sagst keinen Laut, verstanden? Oder du wirst sterben! Komm!“


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Myrie
„Wie ist eigentlich Ihr Name, junge Frau?“
Pastor Ulf wandte sich wieder Myrie zu. Sich schon fast in Sicherheit wiegend, weil das Gespräch in eine andere Richtung gegangen war, fuhr sie unwillkürlich zusammen. Aber schnell fasste sie sich und sah ihn an.
„Myrie! Myrie van der Rieck!“
„Oh, ein origineller Name. Kommen sie aus den Niederlanden?“
Sie nickte. ‚Wenn man es so ausdrücken kann’, dachte sie. „Aus der Nähe von Amsterdam!“ Um es präziser zu sagen, hätte sie verraten müssen, dass man sie im Alter von wenigen Wochen halb verhungert in einer winzigen Reisetasche mit dem Schild Myrie, an Bord einer DC 7 gefunden hatte, die sich gerade im Anflug auf den Amsterdamer Flugplatz befunden hatte. Doch sie schwieg.
„Sie sprechen unsere Sprache aber gut“, wunderte sich der Vikar.
„Mir fallen Fremdsprachen leicht. Es ist nichts Besonderes dabei.“
Kein Wunder auch, schließlich war sie von einem Waisenhaus ins nächste verschoben worden. Bis zu ihrem neunten Lebensjahr in den Niederlanden, wo sie auch ihren Namen erhielt, da das Haus van Rieck-Haus hieß. Dann hatte sie für mehrere Jahre in Belgien und Frankreich in diversen Einrichtungen gelebt. Sie wusste nicht mehr, ab wann Deutschland dran gewesen war, wo sie den Großteil ihrer Teenagerzeit verbracht hatte.
‚Wie komme ich hier nur ohne Aufsehen weg?’, überlegte sie. Sie fühlte sich unwohl bei dem Gedanken an weitere Fragen.
Die Rettung kam unverhofft in Gestalt einer schwergewichtigen Dame, die durch eine freiwerdende Gasse mit ausgestreckten Armen auf Pastor Ulf und Vikar Raven zukam.
Der gigantische Überwurf der Kutte schwang bei jedem Schritt ausladend hin und her. Schon von weitem öffnete sie den knallrot bemalten Mund im grell geschminkten, mit roten Locken umrahmten Gesicht, um zu einem kaum zu bremsenden Redeschwall anzusetzen.
Der Vikar räusperte sich und tauschte einen panischen Blick mit dem Pastor. „Nun ja“, stieß er hastig hervor. „Ich muss noch viele weitere Leute begrüßen. Sie entschuldigen mich bitte kurz, meine Herrschaften! Frau Bedinghomer!“ Er neigte höflich den Kopf vor der ankommenden Dame und machte sich davon. „Ach wie schade, immer ist er so in Eile, der gute Vikar“, säuselte sie hinter ihm her. „Man könnte meinen, er flüchtet vor mir.“ Sie kicherte geziert und blinzelte ihm nach.
Pastor Ulf gab ein unterdrücktes Hüsteln in den Ärmel des Talars von sich und räusperte sich mehrmals, bevor er das Gespräch wieder aufnahm.

*

Die Spuren verschwammen im Schnee. Raven zog seinen bunten Schal höher.
Schließlich erreichten sie die Marienkapelle, aus welcher der Schein der immer brennenden Kerze flackerte. Der kleine Altar war zwar durch ein dünnes Gitter geschützt. Doch konnte man einen halben Meter in das zu einer Seite offene Häuschen hineingehen, um über die Stäbe hinüberzulangen und eine Kerze vor das Marienbild stellen.
Die Männer pusteten sich den Schnee aus dem Gesicht, als sie in den Windschutz gelangten. Allerdings mussten sich ihre Augen erst auf das schwache Schummerlicht einstellen.
Doch dann erstarrten sie vor Überraschung.
„Das darf doch nicht wahr sein“, flüsterte Raven heiser und fiel auf die Knie.
„Doch, es ist wahr!“, bestätigte der Pastor, während er vor einem zusammengekauerten Bündel in die Hocke ging. Er zog die Kapuze der Mönchskutte ein Stückchen zu Seite.
Ein ockerfarbener Wuschelkopf wurde sichtbar.
„Myrie! Was machen Sie denn in dieser Kälte hier draußen? Mein Gott, Sie holen sich ja eine Lungenentzündung.“
Das Mädchen antwortete nicht. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie die Männer erschrocken und zähneklappernd an.
Vikar Raven war völlig irritiert durch diese smaragdgrünen Augensterne, auf denen winzige schwarze Punkte zu schwimmen schienen, doch sofort drehte er sich aus seinem schweren Mantel und legte ihn Myrie um die Schultern. Dann zog er sie an den Schultern hoch.
Nackte rote Haut lugte unter der Kutte hervor, die halberfrorenen Füße.
„Haben Sie denn keine Schuhe?“ Sie schüttelte den Kopf. Die Freunde warfen sich einen besorgten Blick zu, während sie Myrie zu zweit stützten. „Ist Ihnen etwa in der Kirche die Kleidung gestohlen worden?“
Wieder nur ein zitterndes Kopfschütteln.
„Ich verstehe das nicht“, murmelte Ulf Peters beunruhigt. „Was machen wir nur mit ihr?“
„Ich bringe sie zu mir nach Hause, da kann sie sich aufwärmen. Ein warmes Bad wird Wunder wirken“, meinte Raven ohne Zögern. „Und dann sehen wir weiter.“

*

Die Gestalt löste sich aus der Nische der Hauswand.
‚Glück gehabt’, dachte der kleine Mann im schwarzen Overall. Sie hatte ihn offensichtlich nicht gesehen. Fast wäre er seiner Neugier zum Opfer gefallen. Dabei wollte er nur wissen, wie die Frau, die sie die Feuerhexe nannten, von Dichtem aussah. Sie war eine zarte Schönheit.
Ein grünäugiger Engel aus einer anderen Welt.
‚Ha, die Lemmlinger waren strohdumm.’
Er wusste, dass das kleine Grünauge die Feuer nicht gelegt hatte.
Oh ja, er kannte die Wahrheit! Die ganze Wahrheit! Doch sollten sie ruhig noch ein wenig ihre Intrigen flechten, ihre Spielchen treiben und ihre Gerichtstermine durchziehen. Fast hätte er laut aufgelacht, als der Staatsanwalt die Anklage vorlas.
Aber diese intelligente Rechtsanwältin, die süße Brünette, war ein Juwel. Ihre Argumente trafen den Kern.
Er hatte im Gerichtssaal in der letzten Zuschauerreihe gesessen und alle beob-achtet, als sie sprach.
Bestimmte Leute begannen bereits vor Angst zu schwitzen. Besonders der Bürgermeister, dieser ehrgeizigen Trottel. Man erkannte es an seinem Gesicht. Diese Anwältin würde es bestimmt schaffen, die Unschuld des harmlosen Mädchens zu beweisen, natürlich mit dem Geld der reichen Dame in Hejdekov. Die Lemmlinger Polizei hatte kaum etwas in der Hand, außer einer Zeugenaussage, die besagte, dass sich die junge Frau zum Zeitpunkt des Feuers vor dem Haus befunden hatte. Dieser Zeuge war sicherlich bestochen worden. Aber die Wahrheit über den Brand, die kannten nur zwei Leute.
Einer davon war er!


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